Einen Traum loslassen – vermeintlich leicht & unendlich schwer

Carina Domig • 11. Mai 2025

Einen Traum loslassen – vermeintlich leicht & unendlich schwer

Jeder von uns trägt Träume in sich und in diversen Zitaten wird darauf eingegangen, dass man sie verfolgen und nicht mehr loslassen soll, weil damit auch der Verlust des Sinns des eigenen Lebens einhergehen würde oder es wird suggeriert, dass man sich nur noch mehr anstrengen müsste, um den Traum zu erreichen: „Alle Träume können wahr werden, wenn wir den Mut haben, ihnen zu folgen.“ (Walt Disney).


Träume geben unserem Leben Richtung, Sinn und Hoffnung. Sie sind es, die unseren inneren Kompass entscheidend mitausrichten. Ein solcher Lebenstraum kann verschiedenste Formen annehmen: die ersehnte Karriere, Lebensveränderung, der Kinderwunsch, ein bestimmtes Projekt, eine klare Vorstellung der eigenen Zukunft etc.


Was es jedoch mit einem anrichten kann, wenn man sich eingestehen muss, dass ein wirklicher Lebenstraum nicht realisierbar ist und man sich langsam bewusst wird, dass man seinen Kompass anders ausrichten sollte, habe ich selbst durchlebt. Jahrelang hatte ich eine klare Vorstellung von meiner glücklichen Zukunft und damit verknüpft war ganz klar auch das Bild einer Familie. Somit war eine Zukunft, in welcher ich allein für mich glücklich und zufrieden sein konnte, zunächst nicht vorstellbar. Und gleichzeitig war es genau das, was ich die letzten Jahre lernen durfte.


Mit diesem Beitrag geht es um Gesichter der Trauer, die im Alltag oft übersehen werden, weil es sich nicht um einen offensichtlichen Trauerfall handelt.


Kein Plädoyer für „einfach loslassen“ oder Kopf in den Sand stecken


Mit meinem Beitrag geht es mir nicht darum, dass man seine Träume einfach alle so behandeln soll, dass man sie jederzeit loslassen kann, sondern darum, wie man mit den Träumen umgeht, die sich nicht erfüllen, weil äußere Umstände dafür sorgen und man selbst keinen Einfluss darauf nehmen kann.


Was bedeutet es, einen Traum zu verlieren?


Der Traum war entscheidend für den eigenen Kompass und hat dafür gesorgt, dass man sich selbst und vielleicht auch sein gesamtes Leben darauf ausgerichtet hat. Man hat eine Blaupause für sein Leben mit diesem Traum und vielleicht sogar ein entsprechendes Vision Board entworfen. Somit hat dieser Traum die eigene Identität maßgeblich mitbestimmt.


Es ist nur verständlich, dass eine gehörige Portion Angst damit einhergeht, wenn man sich von einem Traum löst, da sich dadurch auch die Frage nach der eigenen Identität stellt und wie diese ohne den Traum aussehen kann. Noch größer ist die Barriere natürlich, wenn mit dem Traum auch noch Erwartungen aus dem Umfeld einhergehen, wie es beispielsweise bei dem Thema „Kinderwunsch“ der Fall ist.


Genau an diesem Punkt erscheint die Trauer. Die Trauer um das was hätte sein können, um die ungelebten Möglichkeiten, um eine Zukunft, die so wohl nicht mehr stattfinden wird. 


Gefühle, die oft keinen Platz finden


Solche Verluste hinterlassen eine Leerstelle. Und doch wird diese Form der Trauer oft nicht ernst genommen – weder von uns selbst noch von unserem Umfeld. Wir hören Sätze wie:
„Dann machst du halt was anderes.“
„Das war doch nur eine Idee.“

„Dann adoptierst du halt ein Kind. Es gibt ja so viele Kinder ohne Familie.“
„Du bist doch gesund, das ist die Hauptsache.“


Was dann bleibt, ist eine stille Trauer, die man sich auch nicht bewusst eingesteht, da es sie ja eigentlich oder vermeintlich gar nicht nicht gibt.


Sie zeigt sich manchmal als Frustration, Zynismus, Wut, Müdigkeit oder Rückzug und im Arbeitskontext wird sie oft überdeckt durch Leistungsdruck oder Aktionismus.


Raum für diese Gefühle und die Trauer schaffen


Dieser Trauer bewusst Raum zu verschaffen und sich damit zu beschäftigen kann hilfreich sein, um seinen Kompass im Blick zu behalten und neu ausrichten zu können. Vielleicht magst du dir etwas Zeit nehmen, um diesen Fragen Raum zu geben:


  • Welcher Traum oder Wunsch hat sich für mich in letzter Zeit verabschiedet?
  • Was hat dieser Traum für mich bedeutet?
  • Was ist durch das Loslassen entstanden – eine Leere, Wut, Erleichterung, Traurigkeit?
  • Wie gehe ich mit der entstandenen Leere um? Überwiegen die negativen oder die positiven Gedanken?
  • Was hätte ich gebraucht, um diesen Verlust gut zu verarbeiten?
  • Mit wem könnte ich darüber sprechen und ihm davon erzählen?
  • Welche Chancen bietet dieser Traumverlust?


Ein Buch, welches ich zum speziellen Thema „Abschied vom Kinderwunsch“ empfehlen kann, ist das Buch „Lebensschlenker“ von Nova Meier-Henrich, die selbst, nach zahlreichen Versuchen, von diesem Lebenstraum Abschied genommen hat. Hier im Interview kannst du einen ersten Eindruck davon bekommen: Nova Meierhenrich spricht im Interview über ihren Kinderwunsch - ZDFheute


Ein kleines Ritual für deinen individuellen Trauer-Raum


Trauer braucht Ausdruck und will verarbeitet und anerkannt werden, auch wenn es „nur“ ein inneres Bild oder ein innerer Film (ein Traum) ist, der nicht Wirklichkeit wurde.


Vielleicht hilft dir für diesen stillen Abschied ein kleines Ritual:
Schreibe deinem verlorenen Traum einen Brief. Bedanke dich für das, was er dir gezeigt hat. Und verabschiede dich bewusst. Schreibe ihm alles, was dich beschäftigt. Überlege dir dann, was du mit diesem Brief tun möchtest. Es gibt verschiedene Ideen dafür und deiner Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt.


Manchen hilft es, den Brief dann bewusst einem der Elemente zu übergeben. In Form eines Papierfliegers dem Wind, in Form eines Schiffchens dem Wasser, dem Feuer oder im Rahmen einer Beerdigung der Erde.


Dahinter steckt ein einfaches und dennoch immer wieder effektives Konzept: wenn wir würdigen, was war, können wir offen werden für das, was kommen will.


Was ich dazu noch sagen möchte


Wenn auch du einen Traum aufgeben musstest oder es gerade tust:


DU bist so viel mehr als dein Traum! Deine Identität hat so viele Facetten mehr, als nur diese eine! Bisher hattest du den Scheinwerfer auf diese Facette deiner Identität gerichtet. Lass ihn nun auch mal auf die anderen Facetten scheinen und entdecke was du dort noch finden kannst. Vielleicht erscheint dir zunächst keine andere Facette beleuchtenswert. Gib dir Zeit dafür. Jeder kleine Schritt zählt.


Solltest du dabei Unterstützung brauchen, melde dich gerne bei mir.


Ausblick: Für meinen nächsten Beitrag…


… möchte ich, nach entsprechender Recherche, auf eine weitere, spezielle Form der Trauer aufmerksam machen:


 „Abschied ohne Tod – Wenn Menschen gehen, aber leben.“

Über Trennungen, Kontaktabbrüche und stille Verluste in Beziehungen – auch im Beruf.



Ich freue mich, wenn du wieder in meinen Blog schaust.


Und wenn du magst, teile gern deine Gedanken oder Erfahrungen mit mir.

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